Bereits vor zehn Jahren hat sich das St. Elisabeth-Hospital in Herten dem demographischen Wandel auch in der Medizin angepasst und die Altersmedizin innerhalb der Abteilung für Innere Medizin etabliert. Hier betrachten die Experten die gesamte Lebenssituation der betroffenen betagten Menschen und versuchen, ihnen mit entsprechenden Therapien wieder mehr Lebensqualität und die Möglichkeit, sich im Alltag selbst zu versorgen, zu geben. Anlässlich des Jubiläums haben wir bei PD Dr. Arnd Giese, Chefarzt der Inneren Medizin I, und bei Melanie Mulvahill, Geriaterin und Oberärztin, nachgehakt, worin das Erfolgsrezept besteht.
Herr PD Dr. Giese, bevor es ans Eingemachte geht, vorab ein bisschen Statistik: Wieso kommt der Geriatrie heute eine so große Bedeutung zu? Hat das mit dem demografischen Wandel zu tun?
In Deutschland sind heute 22 Millionen Menschen 60 Jahre und älter, das ist mehr als jeder Vierte. Bis zum Jahr 2050 wird ihr Anteil voraussichtlich auf 38 Prozent ansteigen. Bei den über 80-Jährigen wird sich der Anteil sogar von derzeit sechs auf 13 Prozent mehr als verdoppeln. Es werden dann etwa zehn Millionen Menschen über 80 Jahre alt sein. So sagt es das Demografieportal, herausgegeben im Auftrag des Bundesministeriums des Innern und für Heimat und vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Brechen wir das jetzt einmal lokal herunter, dann wird deutlich, wie viele Menschen betroffen 1 sind: Die Zahl der Patienten im St. Elisabeth-Hospital, die 65 Jahre und älter sind, ist seit 2000 von rund 45 auf immerhin - rund 55 Prozent in 2013 und auf rund 62 Prozent im vergangenen Jahr angestiegen.
Frau Mulvahill, das ist schon eine Hausnummer. Aber die steigenden Zahlen sind nicht alleine ausschlaggebend für die große Bedeutung der Altersmedizin?
Nein. Ältere Menschen leiden häufig parallel an mehreren chronischen Erkrankungen, wie z. B. hoher Blutdruck, Diabetes, Nieren- und/oder Herzschwäche, Schmerzsyndromen usw. Diese Erkrankungen führen nicht nur zur vermehrten Medikamenteneinnahme - man nennt das dann Polypharmazie - sondern führt häufig auch zu einer enormen Beeinträchtigung der Mobilität und Lebensqualität. In der Folge treten nicht selten auch psychische Probleme hinzu. Kommt dann ein Akutereignis, wie etwa eine Lungenentzündung, ein Herzinfarkt oder ein Sturz hinzu, müssen die Betroffenen im Krankenhaus versorgt werden. Solche Patienten sind dann besonders gefährdet, ihre Selbstständigkeit im Alltag zu verlieren. Je älter und vorerkrankter die Menschen sind, umso schwieriger wird es, die Fähigkeit in kurzer Zeit wieder zu erlangen. Somit droht eine Pflegebedürftigkeit, die wir versuchen, im Rahmen einer sogenannten geriatrischen Komplextherapie zu verhindern bzw. zu verbessern.
Nicht mehr in den eigenen vier Wänden leben zu können, muss ein Albtraum für betagte Menschen sein. Wie schaffen Sie es in Herten, diese Patienten wieder so zu mobilisieren, dass sie daheim alleine klarkommen? Vielleicht mögen Sie, Herr PD Dr. Giese, das einordnen...
Auf den Akutstationen des St. Elisabeth-Hospitals wird zunächst entschieden, ob für den jeweiligen Patienten eine altersmedizinische Komplextherapie in Frage kommt. Ist das der Fall, wird das geriatrische Team verständigt.
Welche Therapien sind das ganz konkret?
Um den Patienten erfolgreich behandeln zu können, halten wir ein multiprofessionelles altermedizinisches Team bereit. Hierzu zählen neben den in Geriatrie spezialisierten Ärzten auch spezifisch fortgebildete Pflegekräfte, Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden, Psychologen und Mitarbeiter des Sozialdienstes. Zudem haben wir im St. Elisabeth-Hospital den Luxus, über ein Konsilsystem die Mitbehandlung von Schmerztherapeuten, Kardiologen, Orthopäden, Unfallchirurgen, Gastroenterologen, Onkologen sowie Gefäß- und Allgemeinchirurgen anzufordern. Weiter haben wir im Verbund noch weitere Möglichkeiten der Mitbehandlung durch Gynäkologen und Urologen über das Prosper Hospital Recklinghausen.
Zu Beginn der Komplexbehandlung werden neben der Behandlung der Akuterkrankung auch Bereiche wie Merkfähigkeit, Beweglichkeit, Sturzgefahr, die psychische Verfassung sowie die Selbsthilfefähigkeit überprüft. Daraufhin wird ein individueller, multiprofessioneller Therapieplan erstellt. Das heißt, dass jedes Teammitglied eigene Ziele für seinen Therapiebereich formuliert. In einer wöchentlich stattfindenden Teamsitzung werden diese Ziele dann überprüft und entsprechend neu angepasst im Austausch aller Teammitglieder.
Betroffene betagte Menschen kommen aber nicht unbedingt nur über die Notaufnahme zu Ihnen, richtig Herr PD Dr. Giese?
Korrekt, auch Hausärzte können Patienten, die durch verschiedene Erkrankungen eingeschränkt sind, einweisen. Die häufigsten Krankheitsbilder in der Altersmedizin, die wir hier sehen, sind dabei infektiologische Erkrankungen wie Harnwegsinfekte oder Lungenentzündungen, Herz- und Lungenerkrankungen, Osteoporose, wiederholte Stürze und Folgen dieser Stürze wie beispielsweise ein Oberschenkelhalsbruch, Demenz, Parkinson und Schlaganfall sowie Mangelernährung.
Frau Mulvahill, wie lange bleiben die Patienten dann in der Regel bei Ihnen auf der Station?
Damit diese komplexe Behandlung Erfolg hat, ist auf der geriatrischen Station ein Aufenthalt von mindestens 15 Tagen vorgesehen. Das Konzept besteht bereits seit 10 Jahren und wurde immer weiter verbessert. Der Grundgedanke ist aber bis heute ʼn geblieben: Das Ziel ist es, neben der Behandlung der Akuterkrankung, die Lebensqualität, Mobilität und Selbstständigkeit älterer Menschen zu verbessern.
Wenn diese multimorbiden Erkrankungen dann bei Ihnen stationär austherapiert sind und es für die Patienten nach Hause geht, was geschieht dann? Es muss doch sichergestellt sein, dass die Entlassenen wieder alleine daheim klarkommen können. Wie sieht hier die tägliche Praxis aus, Frau Mulvahill?
Da ein Mitarbeiter vom Sozialdienst von Anfang an in die Behandlung miteingeschlossen ist und sich bereits zu Beginn ein Bild vom Patienten macht, ob durch Selbstauskunft durch den Patienten oder nach Befragung der Angehörigen, fallen notwendige Defizite in der Regel früh auf. Daher wird die Zeit des Aufenthaltes auch dafür genutzt, z. B. einen Pflegegrad-Antrag auf den Weg zu bringen, einen Pflegedienst oder Hilfsmittel, wie z. B. Pflegebett, Rollstuhl, Rollator, Toilettenstuhl u.ä. zu organisieren. Falls die Versorgung zu Hause nicht mehr möglich sein sollte, werden die Angehörigen durch die Sozialdienstmitarbeiter unterstützt in der Suche nach einem Heim- bzw. Kurzzeitpflegeplatz.